Jugendstrafvollzug

Jugendstrafvollzug

Bis zu einem Neuntel (11%) der Jugendlichen, die in den Jugendstrafvollzug involviert sind, leidet aktuell oder im vergangenen Jahr an einer PTBS – das sind zehn- bis zwanzigmal so viele PTBS-Fälle wie bei gleichaltrigen Jugendlichen in der Gemeinde (Ford et al., 2007b). Jugendliche im Jugendstrafvollzug haben auch ein höheres Risiko als andere Jugendliche für eine Vielzahl von Verhaltensstörungen, von denen viele in Kombination auftreten (d.h. als „komorbide Störungen“). Zwei Drittel der Mädchen und mehr als 80 % der Jungen in einer großen Jugendstrafanstalt, die Angststörungen aufwiesen, hatten auch eine externalisierende (z.B. ADHS, Verhaltensstörung), internalisierende (z.B. Depression) oder Substanzgebrauchsstörung. Obwohl nicht systematisch auf PTBS per se bei Jugendlichen im Jugendstrafvollzug untersucht, deuten Forschungen zu den Komorbiditäten von PTBS (siehe Kapitel 4) darauf hin, dass sie wahrscheinlich eine oder mehrere andere Verhaltensstörungen haben.

Misshandlungen oder andere zwischenmenschliche Gewalt in der Kindheit sind häufig (>67% Prävalenz) bei Jugendlichen im Jugendstrafvollzug. Solche „entwicklungsbeeinträchtigenden zwischenmenschlichen Traumata“ (Ford, 2005) sind mit der Entwicklung von psychosozialen Anpassungsproblemen verbunden, die Jugendliche dem Risiko aussetzen, in das Jugend- und Erwachsenenstrafsystem einzutreten und rückfällig zu werden: Beschäftigung mit der eigenen Wut und der Wut anderer Personen (Pollak et al., 2005); generalisierte Erwartungen, körperlich oder sexuell verletzt zu werden (Gully, 2003); ein feindseliger/aggressiver Informationsverarbeitungsstil (Dodge et al, 1995); Probleme mit komplexen kognitiven Operationen, die für die selektive oder anhaltende Aufmerksamkeit, das Testen von Hypothesen und das Lösen von Problemen sowie für die semantische Organisation notwendig sind (Beers und DeBellis, 2002); Defizite im verbalen Kurzzeit- und Spätgedächtnis (Cordon et al., 2004) und detaillierte und übermäßig detaillierte Erinnerungen an traumatische Ereignisse (Cordon et al., 2004). Im Jugend- und Erwachsenenalter sind Jugendliche, die traumatische Kindheitserfahrungen gemacht haben, nicht nur für psychische Gesundheits- und Verhaltensprobleme gefährdet, sondern auch für medizinische Erkrankungen wie Diabetes, Herzkrankheiten und Störungen des Immunsystems sowie für eine erneute Viktimisierung.

Traumatische Viktimisierung kann für viele Jugendliche den Ausschlag geben und sie auf einen Weg in die Kriminalität führen – oder sie dort einsperren. Wenn sie Zwang, Grausamkeit, Gewalt, Vernachlässigung oder Ablehnung ausgesetzt sind, können Jugendliche damit umgehen, indem sie auf Gleichgültigkeit, Missachtung von Regeln und Autorität oder Aggression als selbstschützende Gegenreaktion zurückgreifen. Der Jugendliche kann sich angesichts der traumatischen Viktimisierung so verängstigt, allein und machtlos fühlen, dass der beste Weg, den sie oder er finden kann, um damit fertig zu werden, die Form von Wut, Trotz, Gefühllosigkeit oder Aggression annehmen kann. In diesen Fällen kann das Eingehen von Risiken, das Brechen von Regeln, das Zurückschlagen und das Verletzen von anderen, die als mächtig (z. B. Autoritätspersonen) oder verletzlich (z. B. jüngere Kinder, Tiere) wahrgenommen werden, zu einem Weg werden, um emotional (oder buchstäblich) zu überleben.

Grundlegend sind diese defensiven Versuche, die durch die Viktimisierung verursachte Hilflosigkeit und Isolation zu überwinden oder ihr zu widerstehen, durch den Wunsch motiviert, die Fähigkeit wiederzuerlangen, die extremen körperlichen und emotionalen Zustände (z. B. Terror, Verwirrung, Verzweiflung) zu regulieren.z. B. Schrecken, Verwirrung, Verzweiflung, Wut) zu regulieren und Informationen zu verarbeiten und sich so zu verhalten, dass ein Gefühl von Kontrolle und Leistung entsteht (z. B. klar genug zu denken, um Entscheidungen zu treffen und zu handeln, die auf vorherigem Lernen und zukünftigen Konsequenzen basieren) (Ford, 2005). Es wird angenommen, dass Delinquenz aus einer grundlegenden Dysregulation von Emotionen (z.B. Wutanfälle, Schwierigkeiten, Liebe oder Glück auszudrücken oder auch nur zu empfinden, intensive Frustration, verzweifelte Angst oder untröstliche Verzweiflung; Ford et al., 2007b) und Informationsverarbeitung (z.B. übermäßiges Misstrauen, fehlende Berücksichtigung prosozialer Optionen oder negativer Konsequenzen von abweichendem Verhalten, Handeln ohne Voraussicht oder Planung) resultiert. Infolgedessen können bei delinquenten Jugendlichen Emotionen unkontrollierbar oder abwesend erscheinen und das Denken neigt dazu, reaktiv, starr, impulsiv und trotzig zu sein. Dies wiederum führt zu verzerrten Ansichten über sich selbst, Gleichaltrige und Beziehungen (z.B. geringes Selbstwertgefühl, Antizipation von Frustration oder Schaden) und zu Schwierigkeiten, gewöhnliche soziale Probleme zu lösen (Dodge et al., (Dodge et al., 1995).

Dieser Befund legt zwar nicht nahe, dass jeder delinquente Jugendliche aufgrund traumatischer Viktimisierung emotional dysreguliert ist, aber er legt nahe, dass das Jugendstrafsystem durch die Fokussierung auf Sanktionen und Dienstleistungen, die emotionale Dysregulation und verzerrte Informationsverarbeitung adressieren, eine wichtige Rolle dabei spielen kann, sowohl Kindern zu helfen, die traumatisch viktimisiert wurden, als auch die Wahrscheinlichkeit von Rückfällen und eskalierender Gefahr für die Gesellschaft durch jugendliche Straftäter zu reduzieren, unabhängig davon, ob sie traumatisch viktimisiert wurden oder nicht. Diese Formulierung steht im Einklang mit den rechtlichen Konzepten der wiederherstellenden Gerechtigkeit (Secker et al., 2004) und der Nulltoleranz (Bazemore et al., 2005). Nulltoleranz ist ein Ansatz in der Strafrechtspolitik, der die persönliche Verantwortung und die gesellschaftliche Sicherheit betont, während wiederherstellende Gerechtigkeit die Notwendigkeit betont, Gemeinschaft und Täter zu integrieren und dem Täter zu ermöglichen, den Schaden an der Gemeinschaft zu erkennen und zu reparieren. In dem Maße, in dem sich straffällige Jugendliche aufgrund dysregulierter Emotionen und verzerrter Informationsverarbeitung gefährlich verhalten, werden sie am ehesten in der Lage sein, Verantwortung zu übernehmen und Respekt vor anderen Menschen und dem Gesetz zu zeigen, wenn sie dabei unterstützt werden, die Fähigkeit zu erlangen, ihre Emotionen zu managen und klar genug zu denken, um verantwortungsvoll zu handeln (Ford, 2005).

Jugendstrafsysteme haben sich nicht routinemäßig mit PTBS befasst. In der letzten Dekade jedoch, als Traumaforscher nachgewiesen haben, dass psychologische Traumaexposition und PTBS unter Jugendlichen, die in die Jugendjustiz involviert sind, weit verbreitet sind, gab es einen Vorstoß, die Reaktion des Jugendjustizsystems auf traumatisierte Jugendliche zu verbessern (Ford et al., 2007b). Gleichzeitig sind neue Ansätze zur Identifizierung und Behandlung traumatischer Belastungsstörungen bei Jugendlichen entstanden. Die Ressourcen umfassen zwei verwandte, aber unterschiedliche Ansätze für Dienstleistungen für Jugendliche, die von der Justiz betroffen sind: (1) traumainformierte Dienste (z.B. Screening auf Traumaanamnese und traumatische Belastungssymptome; Aufklärung von Jugendlichen, Familien und juristischen und medizinischen Fachkräften und Personal über das Erkennen und die Bewältigung von traumatischem Stress); und (2) traumaspezifische Dienste (z.B. eingehende Beurteilung und Bewertung von Traumaanamnese und traumatischen Belastungsstörungen; psychologische oder psychiatrische Behandlung von PTSD) (Ford et al, (Ford et al., 2007b).

Da Verhaltensweisen, die mit PTBS assoziiert sind, oft sehr ähnlich aussehen wie gewöhnliche delinquente Verhaltensweisen, ist es für Mitarbeiter des Jugendstrafvollzugs (und für psychiatrisches Personal, das im Jugendstrafvollzug arbeitet) wichtig zu erkennen, dass es mehrere Wege zu ähnlichen Symptommustern gibt. In einigen Jugendstrafsystemen (z.B. in Connecticut; Ford et al., 2007b) werden Jugendliche routinemäßig gescreent, um diejenigen mit einer Vorgeschichte von Traumaexposition, PTBS-Symptomen und damit verbundenen Risiken wie Suizidalität, Depression und Substanzmissbrauch zu identifizieren. In Bezug auf die Exposition ist es wichtig, festzustellen, welche spezifischen traumatischen Stressoren in welchem Alter und unter welchen Umständen im Leben des jeweiligen Jugendlichen aufgetreten sind. In Bezug auf die Symptome ist es wichtig, festzustellen, welche spezifischen PTBS- oder assoziierten traumatischen Belastungsreaktionen oder traumabedingten Symptome die Fähigkeit eines Jugendlichen beeinträchtigen, klar zu denken und gesunde Entscheidungen zu treffen und sich positiv zu entwickeln. Zu den Screening-Instrumenten gehören umfassende Maße zur Traumaanamnese wie das Traumatic Events Screening Instrument (siehe Abbildung 6.1), Maße zu PTBS-Symptomen wie der UCLA PTSD Index (siehe Kapitel 6) und kurze, aber breit angelegte Maße zu assoziierten Symptomen wie das Massachusetts Youth Screening Instrument, Version 2 (MAYSI-2; Grisso et al, 2001) oder die Traumatic Symptom Checklist for Children (TSCC; siehe Kapitel 6).

Nach dem Screening sollte für alle Jugendlichen und insbesondere für diejenigen, bei denen eine Vorgeschichte mit traumatischen Stressoren und PTBS oder verwandten Symptomen festgestellt wurde (was leider 75 % oder mehr der jugendlichen Justizpopulation ausmacht; Ford et al., 2008a), eine Aufklärung darüber erfolgen, wie traumatische Stressoren zu PTBS führen können und wie man mit Stressreaktionen umgehen kann, so dass PTBS nicht auftritt oder beherrschbar ist. Connecticut hat im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung des Bundesstaates eine relativ kleine Jugendjustizbevölkerung, wobei die Jugendjustizdienste auf 13 Gerichte und zugehörige Bewährungsbüros, fünf Haftanstalten (drei hauptsächlich für Jungen, zwei ausschließlich für Mädchen) und eine Ausbildungsschule für die Inhaftierung von Jungen konzentriert sind. Connecticut hat ein systematisches Screening- und Erziehungsprotokoll für traumatischen Stress und damit verbundene verhaltensbezogene und sozioemotionale Beeinträchtigungen eingeführt, das auf dem TARGET-Modell basiert (Ford und Russo, 2006). TARGET dient als Grundlage dafür, dass jede Haftanstalt, jeder Bewährungshelfer, der mit Mädchen arbeitet (diejenigen, die mit Jungen arbeiten, sollen bald folgen) und andere Jugendprogramme traumainformiert werden. Verwaltungsangestellte, leitende Angestellte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens, Bewährungshelfer und Anbieter von Gemeinschaftsprogrammen sowie beratende Kliniker wurden geschult und erhalten fortlaufend Beratung, um das TARGET-Modell mit Gender-Sensibilität und kultureller Kompetenz an die jeweiligen Gegebenheiten anzupassen. Eine vom Office of Juvenile Justice and Delinquency Programs finanzierte Feldstudie schloss kürzlich eine mehrjährige Evaluation ab, die zeigte, dass Jugendliche in Jugendstrafanstalten, die TARGET in Gruppen und im alltäglichen Anstaltsmilieu erhielten, seltener in störende Vorfälle verwickelt waren oder Haftstrafen erhielten als Jugendliche, die kein TARGET erhielten (Ford et al, 2009).

Ohio hat ein weitaus größeres Jugendstrafsystem als Connecticut – eines der größten des Landes – und führt eine Trauma-Initiative aufgrund der Größe des Systems schrittweise ein. Ohios Department of Children, Youth and Families hat festgestellt, dass Traumaexposition so häufig vorkommt, dass traumainformierte Dienstleistungen für alle Jugendlichen, die in das System involviert sind, höchste Priorität haben. Die Mitarbeiter von sechs stationären Jugendstrafanstalten für Jugendliche mit psychiatrischen und rechtlichen Problemen wurden intensiv im TARGET-Modell geschult und werden bei der Überarbeitung ihrer Richtlinien und Verfahren sowie bei der Umsetzung von Milieu- und Gruppenprogrammen unter Anwendung der in TARGET vermittelten Selbstregulationsfähigkeiten laufend beraten. Eine quasi-experimentelle Evaluationsstudie, die ähnliche Programme vergleicht, die das TARGET-Erziehungscurriculum nicht übernehmen, hat gezeigt, dass es in Einheiten, in denen TARGET angeboten wird, bis zu 75 % weniger störende Vorfälle und Zwangsmaßnahmen gibt als in anderen Einheiten.

Aus fiskalischer Sicht kann die Entwicklung von PTBS-Screening und sekundären oder tertiären Präventionsdiensten (siehe Kapitel 9) in bestehenden Jugendstrafvollzugsprogrammen und -settings kosteneffektiv erreicht werden. Ford und Kollegen (2007b) beschreiben, wie dies mit Hilfe von gemischten Finanzierungsstrategien geschehen kann, z. B. mit den Bundeszuschüssen für niedrige Einkommen, die durch Medicaid, psychische Gesundheit „Block Grants“ und temporäre Hilfe für bedürftige Familien (TANF) bereitgestellt werden.

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