Die Gesundheit von Rudolf Hess wird von der britischen Regierung als von höchster Wichtigkeit angesehen, wurde Herrn Wolf Hess, dem Sohn von Hitlers Stellvertreter, gestern im Außenministerium gesagt.
Mr Hess, 32 Jahre alt, ein Junggeselle und Bauingenieur aus München, verbrachte mehr als eine Stunde mit Mr. George Thomson, Kanzler des Herzogtums Lancaster, um für die Freilassung seines Vaters aus lebenslanger Haft zu plädieren.
Rudolf Hess, der 75 Jahre alt ist, wurde im November nach 25 Jahren aus dem Gefängnis Spandau in West-Berlin verlegt. Er kam in das britische Krankenhaus in West-Berlin, da er an Magengeschwüren litt.
Mr Hess sagte nach dem Besuch: „Ich habe erfahren, dass es in erster Linie um seine Gesundheit geht, und dass es Verhandlungen über seine Freilassung geben muss.“ Die Freilassung von Rudolf Hess hängt – wie alle Probleme Berlins – von der Kooperation der vier alliierten Mächte ab.
Seine Frau und sein Sohn besuchten ihn an Heiligabend, nachdem sie sich gegenüber den vier Mächten in West-Berlin verpflichtet hatten, nicht über ihren Besuch zu sprechen. Aber Wolf Hess sagte gestern: „Ich weiß nicht, ob er weiß, was ich tue. Aber ich glaube nicht, dass er davon erfahren wird. Er darf vier Zeitungen lesen, aber alles, was ihn oder Spandau betrifft, wird herausgeschnitten.“
Alleine aus humanitären Gründen sollte er freigelassen werden – Herr Wolf Hess
Weitere Besuche
Rudolf Hess weigerte sich, seinen Sohn zu sehen, als er als Kind während der Nürnberger Kriegstribunale zu ihm gebracht wurde. Hess weigerte sich auch, seine Familie während der ganzen Zeit, die er in Spandau war, zu sehen, da er so in Erinnerung bleiben wollte, wie er während seiner Zeit an der Macht war. Es gab keine Besuche, bis auf den einen im Krankenhaus an Heiligabend. Weitere Besuche – eine halbe Stunde jeden Monat – werden folgen, vorausgesetzt, Herr Hess und seine Mutter sprechen mit niemandem darüber.
Aber der Eindruck des Wiedersehens war groß genug für Herrn Hess, um seine Kampagne für die Freiheit seines Vaters zu starten. „Allein aus humanitären Gründen sollte er freigelassen werden“, sagte er bei einer improvisierten Pressekonferenz vor dem Außenministerium. „Und jetzt ist er im Krankenhaus, auch aus medizinischen Gründen.“
Die Hauptunterstützung für die „Freilassungs“-Kampagne in diesem Land kommt von Herrn Airey Neave, konservativer Abgeordneter für Abingdon, der Herrn Thomson gestern auch gesehen hat. Herr Neave, der in Deutschland in Kriegsgefangenschaft war, war später der Offizier, der die Kriegsverbrecher-Anklage gegen Heß zustellte.
‚Zufrieden‘
Er sagte anschließend, er sei zufrieden, dass die britische Regierung Hess freilassen wolle. Herr Thomson habe seinen Vorschlägen zugestimmt, dass ein deutscher Chirurg eine unabhängige Untersuchung von Hess durchführen solle und dass Frau
Hess besser über den Zustand ihres Mannes informiert werden solle.
„Das ist menschlich zu weit gegangen. Es ist zu einem Gezerre um den Körper von Hess geworden“, sagte Herr Neave.
Ein russischer Arzt hat gesagt, dass keine Operation notwendig ist, aber britische, amerikanische und französische Ärzte haben gesagt, dass eine Operation notwendig sein könnte. Herr Neave glaubt, dass die russische Diagnose mehr politisch als medizinisch war, und möchte, dass Professor Rudolf Zenker aus München die unabhängige Untersuchung durchführt.
Truppen der vier Besatzungsmächte bewachen abwechselnd Spandau, das bis November Hess als einzigen Gefangenen hatte. Da Hess jetzt im Krankenhaus liegt, wechseln sich die Truppen monatelang ab, um 600 leere Zellen zu bewachen. Aber wenn eine dauerhafte Entscheidung getroffen wird, Hess freizulassen oder ihn im Krankenhaus zu behalten, werden die Russen keinen Grund mehr haben, Spandau zu bewachen – und würden damit ihr einziges Standbein in West-Berlin verlieren.
Hess wurde von Kriegsverbrechen freigesprochen, aber wegen Verbrechen gegen den Frieden verurteilt.
Rudolf Hess wurde nie aus dem Gefängnis Spandau entlassen und starb dort 1987 im Alter von 93 Jahren.
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